Odagsen

Der Dreißigjährige Krieg im Erleben der Zivilbevölkerung

Der Krieg, die Plünderungen und Übergriffe durch Truppen und Trupps jedweder Herkunft, Konfession und Couleur, dazu Hunger und Krankheiten: Es ist kein Wunder, dass die Einwohnerzahl mancher Regionen von Kriegsjahr zu Kriegsjahr sank. Wie viele Menschenleben der Dreißigjährige Krieg forderte, lässt sich nur anhand von Einzelquellen hochrechnen. Gängige Schätzungen besagen, dass die Bevölkerungszahl auf dem Gebiet des Reiches zwischen 1618 und 1648 um etwa ein Drittel zurückging. Dem entsprechen Schätzwerte, die der Historiker Georg Schmidt nennt: In den Reichsgrenzen von 1871 lebten demnach um 1600 etwa 15 bis 17 Millionen, möglicherweise 21 Millionen Menschen; 50 Jahre später waren es noch zehn bis 13 Millionen.  Der Historiker Axel Gotthard nimmt – bezogen auf das Reichsgebiet in den Grenzen von 1914 – für das Jahr 1618 rund 16 Millionen Einwohner an, für 1650 nur noch zehn Millionen. Damit wäre das Reich im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges ungefähr auf die Bevölkerungszahl des Jahres 1470 zurückgefallen, und das, obwohl das 16. Jahrhundert in Europa von starkem Bevölkerungswachstum geprägt war.

 Manch ein Verfasser hatte ein Interesse daran, feindliche Truppen als besonders grausam hinzustellen oder Opferzahlen zu übertreiben, etwa um von Abgabenlasten befreit zu werden oder Unterstützungszahlungen vom Landesfürsten zu erheischen: Es gibt keinen Grund, die Folgen des Krieges zu verharmlosen oder die Zeitzeugenberichte über Leid und Hunger, Brutalität und vielfaches Sterben pauschal ins Reich der Zwecklüge oder nachträglichen Schauerdichtung zu verbannen. "Die alte Anschauung vom verwüsteten Deutschland" habe sich "durch spätere Studien weiter erhärtet", schreibt etwa der Historiker Johannes Arndt. Und Gotthard weist darauf hin, dass sich "schon die Zeitgenossen (…) als Opfer eines ganz ungewöhnlichen Kriegsexzesses" sahen, schlimmer als alles, wovon man seit Menschengedenken je gehört hatte.

Gleichwohl wütete der Krieg nicht überall gleichermaßen. Manche Orte und Landstriche – etwa im Nordwesten Deutschlands – blieben von Kämpfen, Truppendurchmärschen und Einquartierungen weitgehend oder sogar vollständig verschont, zum Beispiel die Stadt Münster. Schon deshalb empfahl sie sich in den 1640er Jahren als Hauptort der westfälischen Friedenskonferenzen. Und während Magdeburg im Mai 1631 in Flammen aufging und seine Bewohner zu Tausenden den Truppen des kaiserlichen Feldherrn Johann T’Serclaes von Tilly zum Opfer fielen, liefen die Geschäfte in einer anderen protestantischen Elbestadt vorzüglich: Hamburg handelte mit Luxusgütern und Lebensnotwendigem und war ein wichtiger Umschlagplatz für Waffen. Folgerichtig ließen protestantische wie auch kaiserlich-katholische Heeresführer die Hafenstadt in Ruhe. Zu Kriegsbeginn hatte Magdeburg etwa 30.000, Hamburg 40.000 Einwohner. In Magdeburg lebten gegen Kriegsende keine 500 Menschen mehr, während Hamburgs Bevölkerungszahl auf 60.000 angewachsen war.

Am schlimmsten vom Krieg betroffen waren die Gebiete entlang einer als "Zerstörungsdiagonale" bekannten Nordost-Südwest-Achse, die sich von Pommern und Mecklenburg über Brandenburg, Anhalt, Thüringen und die Pfalz bis nach Baden erstreckte. Doch auch Böhmen, wo die ersten Kämpfe des Dreißigjährigen Krieges ausgetragen wurden, hatte hohe Verluste zu beklagen; der Krieg kehrte immer wieder in das Stammland des Kriegsunternehmers und kaiserlichen Generalissimus Albrecht von Wallenstein zurück. An Rhein und Elbe kam es ebenfalls wiederholt zu Scharmützeln und Schlachten: Die Flüsse waren als Transportwege kriegswichtig, außerdem ließ sich ein feindliches Heer leicht zum Kampf stellen, wenn es an einer Furt mit einer zeitraubenden Flussüberquerung beschäftigt war.

Die alte Regel, wonach jeder Fürst das Heer, das er aufstellen ließ, auch bezahlen musste, war im Dreißigjährigen Krieg von Beginn an Makulatur. Schon der glücklose "Winterkönig" Friedrich V. konnte die Truppen, die 1620 in Böhmen für seine Sache kämpften, nicht auf Dauer finanzieren – was dazu führte, dass sie Dörfer plünderten und die Zivilbevölkerung durch Brandschatzung auspressten.

Das Prinzip, dass der Krieg den Krieg ernähren müsse, machte Wallenstein wenige Jahre später zu seinem Geschäftsmodell: Da selbst Kaiser Ferdinand II. nicht die Mittel hatte, die großen Söldnerheere dauerhaft zu versorgen, die Wallenstein ab Mitte der 1620er Jahre in seinem Auftrag anwarb, verlangte der General neben den üblichen Naturalien auch hohe Geldzahlungen von den Territorien, in denen die Truppen einquartiert waren. Sie mussten die Kriegskosten vollständig tragen.[ Ob es sich um Feindes- oder Freundesland handelte, spielte für Wallenstein keine Rolle. Je länger der Krieg dauerte, desto drückender wurde für Regionen mit häufigen Einquartierungen die Kontributionslast. Vielerorts wurden Vieh und Pferde beschlagnahmt, was die Bestellung der Felder fast unmöglich machte. Die Folge war noch größerer Hunger.

In einer durch und durch religiös geprägten Gesellschaft, in der nahezu jeder seinen Platz und "Stand" hatte und in der es einst eine gewisse Rechtssicherheit und öffentliche Ordnung gegeben hatte, bedeutete der Krieg einen Bruch mit allem, was man für sicher und unumstößlich gehalten hatte.

Krieg bedeutete Verrohung. Die Landbevölkerung fürchtete die "Crabaten", als die in etlichen Quellen alle möglichen Truppen aus Ost- und Südosteuropa bezeichnet wurden, deren Sprachen man nicht verstand und die als ähnlich wild und grausam galten wie die nichtchristlichen "Türcken und Tartarn" – doch die "teutschen Reuter" betrugen sich kaum besser. Munter-beiläufig notierte der Söldner Peter Hagendorf nach einem Überfall auf Landshut: "Hier sind wir 8 Tage stillgelegen, haben die Stadt ausgeplündert. Hier habe ich als meine Beute ein hübsches Mädelein bekommen und 12 Taler an Geld, Kleider und Weißzeug genug. Wie wir sind aufgebrochen, habe ich sie wieder nach Landshut geschickt."

Vergewaltigungen und Verschleppungen junger Frauen und Mädchen gehörten für viele Soldaten zum alltäglichen Beutemachen. Entführungen, um Lösegeld zu erpressen, und Folterungen, damit die Bauern die Verstecke von Lebensmittelvorräten und anderem Wertvollen verrieten, waren an der Tagesordnung. Die wohl berüchtigtste Martermethode war das gewaltsame Eintrichtern von Wasser oder Jauche, der sogenannte Schwedentrunk.

Vonseiten der Armeeführungen gab es zwar auch Bemühungen, Exzesse zu unterbinden, und sei es nur aus der Erkenntnis heraus, dass es unklug war, einen Landstrich völlig zu verwüsten, in den man vielleicht eines Tages zurückkehren musste. Doch "Dienstreglements, Artikelbriefe sowie die Praktiken der Kriegsgerichtsbarkeit",[ die dem dienen sollten, griffen allenfalls da, wo die Söldner von ihren Auftraggebern auskömmlich bezahlt wurden. Vor allem nachts setzten sich berittene Trupps vom Heerlager ab, um in der Umgebung zu rauben und zu plündern. Es waren die Marodeure und Räuberbanden, die der Zivilbevölkerung mehr zusetzten als die – zumindest halbwegs disziplinierten – Hauptarmeen.

Wenn Dörfer aus Zerstörungslust eingeäschert und halbe Familien ermordet wurden, blieb den Überlebenden oft nichts anderes übrig, als sich dem Tross des durchmarschierenden Heeres anzuschließen: als Prostituierte, Laufburschen, Viehtreiber, Gepäckträger, Bettler. Im Tross, der nicht selten doppelt so groß war wie die eigentliche Armee, zogen die Familien der Soldaten mit, zudem Feldschere, die die Verletzten versorgten, Handwerker und Händler, Barbiere, Köche sowie andere Dienstleister, die den Kriegszug überhaupt erst ermöglichten und aufrechterhielten. Heer und Tross bildeten ein mobiles Sozialgefüge, das auf Abenteurer und Mittellose durchaus anziehend wirken konnte: Wo weithin Hunger und Gesetzlosigkeit herrschten, verfügten diese wandernden Städte immerhin über gewisse innere Regeln, boten die Chance auf Beute und ein Auskommen. Wo aber so viele Menschen auf dichtem Raum zusammenlebten, noch dazu ohne festes Dach über dem Kopf, grassierten oft Seuchen. Die Heere und ihr Anhang schleppten die Krankheitserreger mit über Land.

ie Zerstörung Magdeburgs im Mai 1631 mit mindestens 20.000 Toten galt und gilt bis heute als das schlimmste Einzelereignis des Dreißigjährigen Krieges. Doch auch wenn es das Inferno an der Elbe nicht gegeben hätte, wäre dieser Krieg als die größte menschengemachte Katastrophe vor den beiden Weltkriegen in die deutsche Geschichte eingegangen. Es dauerte Jahrzehnte, in Magdeburg mehr als ein Jahrhundert, bis die demografischen, wirtschaftlichen und auch die psychischen Folgen von 30 Jahren Krieg einigermaßen überwunden waren.

Bei diesen Ausführungen handelt es sich um eine Zusammenfassung. Der gesamte Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Frauke Adrians für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

Das dieser Krieg auch in Odagsen schlimme verwüstungen angerichtet hat, beschreibt Erich Milbratz in seiner „Geschichte des Kirchenspiel Odagsen“. Ich empfehle diese Lektüre ausdrücklich.

Dazu verweise ich auf folgende Artikel aus der E.M.:

1600 Einbecks Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg

1625 Einbeck

1626 Dörfer schwer verwüstet

Ralf Ahrens

 

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