Odagsen

Odagsen in den 1930er Jahren

Im Adressbuch der Stadt Einbeck von 1930 wird angegeben, das sich in Odagsen 366 Einwohner auf 77 Haushaltungen verteilen. Insgesamt existieren 59 Hofstellen. Die Straßen "An der Hechel","Koppelweg",  "Zum Igelpfuhl" und "Zum Neuen Friedhof"sind noch gar nicht, die "Neue Reihe" und "Zur Mühle" nur teilweise bebaut. Auch die anderen Straßen gab es (natürlich) noch nicht in Ihrer heutigen Form. Es werden 114 Personen aufgeführt, von denen 105 männlich und 9 weiblich sind. Aufgeführt sind zudem die Adresse, was 1930 noch ausschließlich die Hausnummern bedeutet, und der Beruf, die Ruhestandregelung oder der Familienstand. Ortsvorsteher ist der Landwirt Hermann Warnecke, Standesbeamter der Gastwirt Heinrich Kues, der Pastor heisst Georg Lockstehl und der Lehrer Albert Falke. Die öffentliche Fernsprechstelle (der Vorgänger der Telefonzelle) befindet sich im Haus des Sattlermeisters Hermann Wielert, die Schule im heutigen Gebäude Winkelgasse 2 von der ein Teil heute nicht mehr existiert. Odagsen sah damals ungefähr so aus: Odagsen im Jahre 1930

Insgesamt sind schon 5 private "Fernsprechanschlüsse" aufgeführt: August Bode (Spar- und Darlehenskasse), Karl Heise (Gastwirt), Heinrich Illemann, Karl Traupe (bzw. 1935 Ernst Wille) und der bereits erwähnte Hermann Warnecke.

Unter den neun aufgeführten weiblichen Personen befinden sich 4 Witwen, 2 Altenteilerinnen* und 1 Ledige. Lediglich bei 2 weibliche Personen ist eine Berufsbezeichnung angegeben. Das sind 1 Näherin und 1 landwirtschaftliche Arbeiterin. Man kann davon ausgehen, das diese beiden Frauen (zu diesem Zeitpunkt d.h. 1930) unverheiratet sind. Ansonsten sind der ausschließlich der sog. Haushaltsvorstand (als Altenteiler* oder mit Berufsbezeichnung) und der älteste im Haushalt verbliebene Sohn (als Haussohn** oder mit Beruf) aufgeführt.

Die meisten der in Odagsen lebenden Personen haben ihr Auskommen in und mit der Landwirtschaft. Unter den aufgeführten männlichen Personen tragen 35 (von 105!!!) die Berufsbezeichnung Landwirt, nach Abzug der Hofnachfolger bleiben somit 31 landwirtschaftliche Betriebe über (zum Vergleich: 2021 existieren noch 8 Haupt- und Nebenberufliche landwirtschaftliche Betriebe inkl. der Mitglieder von GbR in Odagsen). Dazu kommen noch 14 landwirtschaftliche Arbeiter, 4 Haussöhne und 2 Melker. Die ebenfalls aufgeführten 22 Arbeiter (ohne landw.) werden Ihr Auskommen außerhalb der Landwirtschaft gehabt haben, was nicht ausschliesst das auch Sie eine kleine Landwirtschaft bearbeiteten oder dort mithalfen. Bevor die "moderne" Landwirtschaft mit Ihren riesigen Maschinen Einzug gehalten hat, war die Arbeit in der Landwirtschaft eine mühsame Sache mit sehr viel Handarbeit, bei der viele Personen involviert waren. Es ist also davon auszugehen, das sehr viele der nicht im Adressbuch aufgeführten Personen auf den Höfen einer Arbeit nachgegangen sind. Fleißige Hände wurden immer gebraucht. Zur Situation der Landwirtschaft gestern und heute verweise ich auf die interessanten Artikel des Deutschen Bauernverbands und den Beitrag Essen verändert die Welt: Ernährung früher, heute und Morgen.

Weiter ist davon auszugehen, das jeder der ein kleines bischen Platz hatte, ein oder mehrere Schweine und ein paar Hühner sowie evtl. anderes Kleinvieh gehalten hat.(siehe Hausschlachtung und Hausschlachter) Aus der Übersicht in den Leistungsergebnissen Milchviehkontrolle geht hervor das 1935 45 Halter insgesamt 235 Kühe gehalten haben (Die letzten Milchkühe wurden im Jahr 2008, die letzten Rinder 2018 abgeschafft. In beiden Fällen durch Familie Ehrenfort/Konietzke). Eine Kuh zu halten bedeutet in dieser Zeit schon einen gewissen Wohlstand, da die Versorgung mit Lebensmittel vor allem durch Selbstversorgung erfolgt.

Insgesamt ist Odagsen, das 1930 ja noch eigenständige Gemeinde ist und somit auch die Amtsgeschäfte (d.h. die Verwaltung) hier stattfinden, durchaus ein eigener Mikrokosmos. Wie erwähnt erfolgt die Versorgung mit Lebensmittel zum großen Teil durch Selbstversorgung, für die weiteren Dinge des täglichen Bedarfs wird es u.a. ein kleines Geschäft gegeben haben ( in meiner Jugend Anfang der 1970er Jahre betrieben Edith und Horst Kues einen solchen Laden). Es gibt in Odagsen 1  Schuhmacher, 2 Schneider, 1 Schmied, 1 Stellmacher (Wagenbauer bzw. ein Handwerker der die hölzernen Teile eines Wagens herstellt und zusammenbaut) 2 Gastwirte, 1 Müller, 1 Schlachter (d.h. ein Hausschlachter), 1 Tischler, 1 Bäcker und 1 Sattler (ein Sattler stellt aus Leder oder Stoffen Gegenstände zur Verwendung im Umgang mit Tieren her, wie Sättel oder Zaumzeug her, aber auch Dinge des täglichen Gebrauchs wie z.B. Taschen). Es besteht also nicht die Notwendigkeit täglich oder wöchentlich (oder überhaupt) in die Stadt nach Einbeck zu fahren, zumal es auch  noch keine Autos oder andere Fahrzeuge gibt (der erste Trecker in Odagsen wurde z.B. 1946 angeschafft) . Das häufigste Verkehrsmittel ist das Fahrrad bzw. die Pferdekutsche. Das oder die erste(n) Autos werden Ende der 1930er Jahre in Odagsen angeschafft worden sein. Mein Großvater, Robert Ahrens, hat im Jahre 1939 bereits ein Automobil besessen.

1930-1935 ist das was meine Großeltern wohl als die gute alte Zeit betrachtet haben, an einen 2. Weltkrieg ist noch nicht zu denken. Die Machtergreifung der Nazionalsozialisten war schließlich 1933 und insgesamt dürfte die Zeit weniger hektisch und schnelllebig gewesen sein.

Aufgezeichnet von Ralf Ahrens

Für die Erstellung dieses Beitrags standen mir zwei Quellen zur Verfügung: Das Einbecker Adressbuch von 1930 und die Leistungsergebnisse der Milchviehkontrolle von 1935. Zudem habe ich natürlich auf die Erinnerungen meiner Eltern Marlis und Robert Ahrens (Jahrgang 1940 und 1935) zurückgegriffen.

Anbei die Daten aus den erwähnten Quellen:

Adressbuch 1930 sortiert nach Namen

Adressbuch 1930 sortiert nach Odagser Hausnummer

Adressbuch 1930 sortiert nach heutigen Adressen

Adressbuch 1930 sortiert nach Berufen

Adressbuch 1930 sortiert nach Anzahl der Milchkühe

Leistungsergebnisse Milchviehkontrolle von 1935 Seite 1

Leistungsergebnisse Milchviehkontrolle von 1935 Seite 2

Mein Dank gilt weiterhin Gundi und Dietrich Arndt für das (kurzfristige) Überlassen der Leistungsergebnisse Milchviehkontrolle 1935.

Ralf Ahrens im Dezember 2021

*Der Duden definiert das Altenteil als "Anteil am Besitz, den sich jemand bei Übergabe seines Besitztums (meist eines Bauernhofes) an den Nachfolger vorbehält". Sie entsteht in der Regel im Zusammenhang mit der Hofübergabe und sichert den Landwirt, der in den Ruhestand tritt und den Hof seinem Nachfolger überträgt, ab.

 ** Ein Haussohn oder eine Haustochter waren in der Hierarchie der Familie nach dem Hausvater und der Mutter diejenigen, die alle wichtigen Entscheidungen treffen durften.

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